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Unsere Geschichte.

Das Foto vom 8. Mai 1981 zeigt Bundespräsident a.D. Karl Carstens (Mitte), der das BfV in Köln besucht. Empfangen wurde er vom damaligen Präsidenten Dr. Richard Meier (links). An dem Termin nahm auch Staatssekretär a.D. Siegfried Fröhlich (rechts) teil.

Als am 8. Mai 1981 Bundespräsident a.D. Karl Carstens vom damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Richard Meier, am Eingang des früheren Kölner Dienstgebäudes in Empfang genommen wurde, war dies ein Novum: Zum ersten Mal überhaupt hatte ein Staatsoberhaupt der Bundesrepublik dem deutschen Inlandsnachrichtendienst, der erst ein Jahr zuvor sein 30-jähriges Bestehen feierte, einen offiziellen Besuch abgestattet.

Dieser Besuch darf rückblickend exemplarisch sicher auch als eine Form der Wertschätzung verstanden werden, hatten die Sicherheitsbehörden im Bund und in den Ländern in den zurückliegenden Jahren doch starke Kräfte zu mobilisieren, angesichts der außerordentlichen Herausforderungen, mit denen sie sich konfrontiert sahen. So fiel in die Amtszeit von Dr. Richard Meier (1975-1983) mit dem "Deutschen Herbst" etwa der Höhepunkt des Terrors der Rote Armee Fraktion (RAF): Die Entführung und Ermordung des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Hanns Martin Schleyer, die Entführung des Lufthansa-Flugzeugs "Landshut" und die Selbstmorde der inhaftierten Mitglieder der ersten Generation der RAF im Jahr 1977.

„Die Geschichte des Bundesamtes ist Anlass für Stolz und Demut, Anerkennung und Kritik, Vertrauen und Kontrolle, Beharrlichkeit und Veränderungsbereitschaft.“

Thomas Haldenwang
Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Nationale und internationale Ereignisse und Entwicklungen wie diese haben die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden in der Vergangenheit immer wieder entscheidend geprägt und zu einer Schwerpunktbildung beigetragen. Und so ist die Geschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz - eingedenk sich wandelnder Bedrohungen für eine freiheitliche demokratische Gesellschaft - immer auch ein Spiegel der bundesrepublikanischen Vergangenheit insgesamt gewesen.

Im Folgenden sollen einzelne zeitgeschichtliche Etappen kurz skizziert werden:

Kriegsende und Wiederaufbau

Das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 und die damit verbundene Kriegsniederlage Deutschlands bildeten ebenso wie die alliierte Besetzung die Grundlagen für den demokratischen Wiederaufbau Deutschlands.

Die Lehren aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur hatten schon bald entsprechende Auswirkungen:

Zunächst wurde durch das Kontrollratsgesetz Nr. 31 vom Juli 1946 fortan jede Überwachung oder Kontrolle der politischen Betätigung durch deutsche Polizeistellen von den Besatzungsmächten untersagt.

Die Aufnahme vom 5. Juni 1945 zeigt die erste Sitzung des Alliierten Kontrollrats in Berlin in Deutschland nach Ende des 2. Weltkriegs.
Archiv Gerstenbe/ullstein bild/picture alliance

Zudem wurde dem Parlamentarischen Rat, der 1948/49 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeiten sollte, auch unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Auseinandersetzung der westlichen Alliierten mit der Sowjetunion offenbar, wie real die Gefahr des Vordringens totalitärer und auf Gewaltherrschaft beruhender Staaten (weiterhin) war. Man beschloss, fortan Vorkehrungen in einer künftigen Verfassung und in den Einzelgesetzen zu treffen, um den politischen Extremismus bekämpfen und abwehren zu können. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland sollte als streitbare (wehrhafte) Demokratie ausgerichtet sein.  

Gründungsjahre

Auf die Entscheidung der Mütter und Väter der Bundesrepublik Deutschland für eine wertgebundene Verfassung, die effektiv gegen ihre Feinde verteidigt werden sollte, folgte der Aufbau des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Insbesondere die Gründungsphase wurde dabei bis ins Detail von den westalliierten Besatzungsmächten gelenkt. Im sogenannten Polizeibrief aus dem April 1949 gestatteten die alliierten Militärgouverneure der künftigen Bundesregierung, eine eigene Stelle "zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten".

Gleichzeitig untersagten sie aber, dieser Behörde auch Polizeibefugnisse einzuräumen. Hier zeigt sich - wie bereits oben angedeutet - das vorherrschende Leitmotiv bei der Entstehung des Verfassungsschutzes: Eine neue Gestapo sollte mit allen Mitteln verhindert werden. Es war die Geburtsstunde des sog. Trennungsgebots als ein Grundsatz des deutschen Rechts, nach dem die Polizei und die Nachrichtendienste in Bezug auf die Aufgaben, die Organisation, die Befugnisse und die Datenverarbeitung getrennt sein sollen.

Bernhard Frye/picture alliance/dpa

Das Grundgesetz vom Mai 1949 griff die durch die Alliierten eingeräumten Möglichkeiten sodann konsequent auf und sah eine eigene "Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes" vor.

Im September 1950 wurde das "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" (BVerfSchG) verkündet. Dieses Gesetz verpflichtete Bund und Länder, jeweils eigene Verfassungsschutzbehörden aufzubauen. Der Bund kam dieser Pflicht durch Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz im November 1950 nach, die Länder folgten in unterschiedlichem zeitlichem Abstand. Das BVerfSchG von 1950 bestand anfangs aus nur sechs Paragrafen, die sich jedoch auf organisatorische Regelungen und Aufgabenstellungen beschränkten.

Auf Arbeitsebene galt es zunächst, die Bundesrepublik gegen Umsturzversuche von Links- oder Rechtsextremisten abzusichern. Denn das tragische Ende der Weimarer Republik und dessen verheerende Folgen bis Kriegsende war eine kollektive traumatische Erfahrung, die man als Hypothek für die Zukunft nicht ignorieren konnte. So fallen in die Anfangsjahre der Bundesrepublik etwa auch die Verbote der neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) im Jahr 1952 und etwas später das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) im Jahr 1956 durch das Bundesverfassungsgericht. Daneben stand seit 1950 auch die Beobachtung der Tätigkeit östlicher Nachrichtendienste im Bundesgebiet.

Auf organisatorischer und später auch technischer Ebene war eine schnell und stetig wachsende Datenmenge zu bewältigen. Die für die Aufgabenbewältigung eines Nachrichtendienstes höchst bedeutsame Datenablage und -verarbeitung entwickelte sich im BfV in den nächsten Jahrzehnten von Karteikarten über die elektronische Lochkartenverarbeitung hin zu computerisierten Systemen. 

Kalter Krieg und deutsche Teilung

Die rund 40 Jahre währende zeitliche Spanne von der Gründung der Verfassungsschutzbehörden bis zur deutschen Wiedervereinigung war vor allem geprägt durch den Ost-West-Konflikt (Kalter Krieg).

Bei der spannungsreichen Konfrontation der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs standen sich das westliche Lager unter der Führung der USA mit dem Ziel der Eindämmung des Sowjet-Kommunismus und das östliche Lager unter Führung der Sowjetunion in erklärter Gegnerschaft zum "Kapitalismus" und "Imperialismus" westlicher Staaten gegenüber. In diesem weltweit geführten Konflikt war das geteilte Deutschland mit dem ebenfalls geteilten Berlin, der „Hauptstadt der Spione“, eines der Hauptaustragungsgebiete.

In die zeitliche Periode eines geteilten Deutschlands fällt zudem eine Welle linksextremistischen Terrors, in der linksextremistische Gruppierungen die Bundesrepublik mit einer Reihe von Anschlägen, Entführungen und politischen Morden erschütterten.

Schließlich erfuhr die innere Sicherheit in diesen vier Jahrzehnten auch ihre erste Internationalisierung, was zu einer Erweiterung des Aufgabenspektrums des Verfassungsschutzes führen sollte.

akg images/picture alliance

Spionageabwehr während des Ost-West-Konflikts

Die Gründung der DDR sowie die Einrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Februar 1950 verschärften die inzwischen eingetretene Blockbildung zwischen Ost und West und damit zugleich die Gefahr einer wachsenden kommunistischen Einflussnahme auf Westdeutschland zusehends.

In der Folge entwickelte sich die Bundesrepublik Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren zu einer maßgeblichen Operationsbasis für Nachrichtendienste aus Ost und West und die Enttarnung und das Verhindern von Spionageaktivitäten - die Spionageabwehr - rückte verstärkt in den Fokus verfassungsschutzrelevanter Bemühungen.

Insbesondere die DDR unterhielt auf dem Gebiet der Bundesrepublik ein ausgedehntes Netzwerk von Spionen. Die DDR-Spionage war dabei vornehmlich darauf ausgerichtet, möglichst viele Informationen in der Breite zu erlangen, aber auch die Unterwanderung von neuralgischen Punkten der Bundesrepublik wie Bundestag, Bundesministerien, Bundeswehr, Nachrichtendiensten, Parteien und Wirtschaftsunternehmen war ein erklärtes Ziel.

Dabei spielte auch die Anwerbung von Agenten eine große Rolle. So ging das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 1965 etwa davon aus, dass kommunistische Nachrichtendienste versuchten, zwischen rund tausend und dreitausend Personen im Jahr dafür zu gewinnen, gegen die Bundesrepublik Spionage zu treiben, wobei der ganz überwiegende Teil dieser Personen von Nachrichtendiensten der DDR angesprochen wurde. Neben der Inaussichtstellung wirtschaftlicher Anreize und hoher Geldzahlungen wandten DDR-Nachrichtendienste zur Gewinnung von Mitarbeitern nicht selten auch erpresserische Methoden an.
Bis 1989 war die vor allem von der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des MfS getragene DDR-Spionage eine der größten Herausforderungen für die Spionageabwehr des BfV.

Linksextremistischer Terror

Wilhelm Bertram/picture alliance/dpa

Etwa in der Zeit zwischen 1967 und 1977 bildeten sich eine Vielzahl linker, linksradikaler und linksextremer Gruppierungen im Umfeld der Außerparlamentarischen Opposition und der Studentenbewegung heraus, die überwiegend friedliche Protestaktionen zu vielfältigen Themen wie dem Vietnam-Krieg, gegen den sog. "Muff" der Adenauerzeit oder überkommene gesellschaftliche Konventionen organisierten.

Auch unter dem Eindruck dieses gesellschaftlichen Klimas formierten sich spätestens seit dem Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 Gruppierungen, deren Aktionen in linksextremistischen Terrorismus gipfelten. Zu den bedeutendsten linksterroristischen Organisationen zählte dabei die Rote Armee Fraktion (RAF), die in Anlehnung an südamerikanische Revolutionskonzepte den "bewaffneten Kampf" propagierte, um die angeblich faschistische Qualität des westdeutschen Staates zu "entlarven".

Zwischen 1972 und ihrer Auflösung im Jahr 1998 verübte die RAF 26 Anschläge mit teils verheerenden Folgen und tötete insgesamt 34 Menschen. Der Terror der RAF, der mit dem "Deutschen Herbst" im Jahr 1977 seinen Höhepunkt erfuhr, stellte für die Verfassungsschutzbehörden wie den gesamten Sicherheitsapparat in der Bundesrepublik die bislang größte Herausforderung ihrer noch jungen Geschichte dar und prägte das Sicherheitsgefühl und die Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland bis zum heutigen Tag nachhaltig.

Militante Ausländer

Neben den Mordanschlägen der RAF erfuhr die innere Sicherheit zu dieser Zeit auch ihre erste Internationalisierung. Eine Zunahme von politisch motivierten Gewalttaten militanter Ausländergruppierungen mit Zielrichtungen, die ihren Ursprung in den politischen und religiösen Konflikten ihrer jeweiligen Herkunftsländer haben, verschärfte dabei die Sicherheitslage erheblich.

So verübten palästinensische Attentäter am 10. Februar 1970 einen Anschlag auf ein israelisches Flugzeug am Flughafen München-Riem, wobei eine Person starb und zwölf weitere verletzt wurden. Im Anschluss an dieses Attentat folgten zudem mehrere antisemitische Anschläge in München. Ein weiteres Beispiel war der Anschlag der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen am 5. September 1972 in München. Begonnen als Geiselnahme endete der Anschlag mit der Ermordung von elf israelischen Olympiateilnehmer und dem Tod eines Polizisten.

In der Konsequenz dieser Ereignisse und Entwicklungen berücksichtigte das BVerfSchG von 1972 diese neue internationale Dimension und erweiterte das Aufgabenspektrum des Verfassungsschutzes um den Aspekt des sogenannten Ausländerextremismus.

Mauerfall und deutsche Wiedervereinigung

Das einst enorme Bedrohungspotential des Warschauer Paktes fiel mit der friedlichen Revolution und dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 sowie dem Kollaps des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa faktisch in sich zusammen.

Manfred Vollmer/imageBROKER/picture alliance

Der Jubel über das Ende des Ost-West-Konflikts führte allerdings ebenso schnell zu wachsender Kritik am Verfassungsschutz als Institution: Die aktuelle Liegenschaft des Verfassungsschutzes in Köln-Chorweiler wurde 1989 fertiggestellt und das Bundesamt sah sich bereits beim Einzug der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Frage nach seiner weiteren Existenzberechtigung konfrontiert.

In den neuen Bundesländern wurden nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 unter teils erheblichen Anstrengungen ebenfalls Verfassungsschutzbehörden aufgebaut, sodass bis heute 16 eigenständige Landesämter für Verfassungsschutz in Deutschland existieren.

Während die Spionageaktivitäten gegen die Bundesrepublik durch die östlichen Nachrichtendienste zurückgingen, kehrte im Bereich der inneren Sicherheit keineswegs die ersehnte Ruhe ein: Eine Welle rechtsextremer Vorfälle und ein eruptiver Ausbruch fremdenfeindlicher Gewalt, der in Ausschreitungen und Inbrandsetzungen von Asylbewerber-Wohnheimen sowie Wohnhäusern von Ausländern kulminierte, forderte zahlreiche Todesopfer und Verletzte und führte das Aktionspotenzial des Phänomenbereichs Rechtsextremismus drastisch vor Augen.

Gegenwart

Die vergangenen rund zwei Jahrzehnte in der Geschichte des Verfassungsschutzes wurden zunächst vor allem durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 geprägt. Sie stellten eine Zäsur in der gesamten deutschen Innen- und Sicherheitspolitik dar und haben die bundesdeutsche Sicherheitsarchitektur in der Folge tiefgreifend verändert.

Weitere für den Verfassungsschutz im Bund und in den Ländern prägende Ereignisse und Entwicklungen waren zudem die Aufdeckung der neonazistischen terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)", die globale Überwachungs- und Spionageaffäre im Zusammenhang mit der amerikanischen National Security Agency (NSA) sowie die neuen Anforderungen an die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden in Folge der umfänglichen und durch disruptive Veränderungen geprägten digitalen Transformation moderner Gesellschaften.

Folgen der Terroranschläge vom 11. September 2001

Am 11. September 2001 entführten 19 Selbstmordattentäter des islamistischen Terrornetzwerks al-Qaida insgesamt vier Linienflugzeuge und setzten diese als Waffe gegen Ziele in den USA ein. Bei einer Kollission mit den zwei Türmen des World Trade Centers in New York City (New York), dem Pentagon in Arlington (Virginia) sowie dem Absturz eines Flugzeugs in Shanksville (Pennsylvania) kamen fast 3.000 Menschen ums Leben. Dieser terroristische Massenmord verschärfte die globale Sicherheitslage in ungeahntem Ausmaß.

Die Aufnahme zeigt einen Blick auf das brennende World Trade Center in New York City nach dem islamistischen Terroranschlag am 11. September 2001.
ipol/dpa-foto-report/picture alliance/dpa

Die Tatsache, dass einige der Attentäter längere Aufenthalte in Deutschland vorweisen konnten, forcierte dabei den enormen Handlungsdruck, dem sich nun auch die deutschen Sicherheitsbehörden für die Zukunft ausgesetzt sahen.

In der Folge der Ereignisse verabschiedete die damalige Bundesregierung mehrere zunächst befristete sog. "Anti-Terror-Gesetze", darunter auch das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002. Hierdurch wurde u.a. der Beobachtungsauftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz um Bestrebungen erweitert, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind. Auch wurde die Vorfeldverlagerung der Arbeit des Verfassungsschutzes gestärkt, um eine effektive Gefahrenabwehr bei terroristischen Bestrebungen zu garantieren. Neue Befugnisse für das Bundesamt für Verfassungsschutz beinhalteten etwa die Möglichkeit, von Banken, Luftfahrtunternehmen und Postdienstleistern Kundendaten anzufordern. Auch wurden nachrichtendienstliche Kompetenzen durch die sog. G-10-Maßnahmen erweitert, über welche die Kommunikations- und Reisewege von Privatpersonen leichter nachvollzogen werden können. Ferner wurden Informations- und Datentransfers zwischen den Diensten rechtlich erleichtert, was auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern und Strafverfolgungsbehörden (mit)einschließt.

Schließlich wurde im Jahr 2004 zudem das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin eingerichtet, um den schnellen Zugriff auf vorhandene Informations- und Wissensbestände verschiedener Behörden zu organisieren und eine ressourcenschonende Auswertung aus unterschiedlichen Perspektiven zu ermöglichen.  

Der NSU und seine Konsequenzen

Mit Bekanntwerden der rechten neonazistischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ab dem 4. November 2011 rückten schlagartig die Gefahren des rechtsextremistischen Terrors in den Blickpunkt der Gesellschaft.

Bis heute ist der NSU für die größte rechtsextreme Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik verantwortlich. Zwischen 2000 und 2007 töteten seine Mitglieder neun Migranten und eine Polizistin, verübten 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle.

Die sukzessive Aufdeckung der Ereignisse markierte einen Wendepunkt im Umgang mit rechter Gewalt und der militanten Neonaziszene.

So ist nicht zuletzt das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes von 2015 vor allem auch im Lichte der parlamentarischen Aufarbeitung des NSU und seiner rassistisch motivierten Verbrechen zu betrachten. Hierin wurde vor allem ein verbessertes Zusammenwirken der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sowie eine Stärkung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes geregelt. Auch kamen Regelungen zur Verbesserung des Informationsflusses und zum Ausbau der Analysefähigkeit vor allem über die Nutzung des Nachrichtendienstlichen Informationssystems (NADIS) hinzu. Schließlich erhielt der Komplex Auswahl und Führung von sog. V-Leuten einen klareren und transparenteren Rahmen.

Noch heute prägt die Aufdeckung des NSU die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes nachhaltig und findet etwa ihren Ausdruck in den verstärkten Bemühungen der aktuellen Beobachtung rechtsextremistischer Tendenzen und Bedrohungen durch die Verfassungsschutzämter im Bund und in den Ländern

NSA und Cyberangriffe

David Von Blohn/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Im Jahr 2013 veröffentliche Edward Snowden streng geheime Dokumente des amerikanischen Nachrichtendienstes NSA und deckte damit einen der größten globalen Überwachungs- und Spionage-Skandale in der Geschichte der Spionage auf. So hatten die USA und Großbritannien spätestens seit 2007 in erheblichem Umfang die Telekommunikation wie auch das Internet überwacht und die gewonnen Daten auf Vorrat gespeichert. Zudem sollen Einrichtungen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen abgehört und in E-Mail Konten von Politikern, auch verbündeter Staaten, eingedrungen worden sein. Gerechtfertigt wurden diese Aktionen durch die Länder dabei als präventive Maßnahmen gegen terroristische Anschläge.

Die Vorgänge führten teils zu diplomatischen Spannungen und es entbrannte eine rege gesellschaftspolitische Debatte über staatliche Überwachungsmaßnahmen. Im Jahr 2014 wurde schließlich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, der das Ausmaß und die Hintergründe der Ausspähungen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland aufklären sollte.

Der NSA-Skandal und seine Begleitumstände hinterließen in der deutschen Sicherheitsarchitektur deutliche Spuren. Die Ressourcen der Spionageabwehr wurden verstärkt, um eine "360°-Grad-Bearbeitung" aufzubauen. Dazu kommt die Bearbeitung von Hinweisen in Bezug auf technische Überwachung ("Signal Intelligence") und ein Ausbau der Prävention.

Das Ergebnis des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages führte noch einmal deutlich vor Augen, wie verletzlich die Souveränität von Staaten in einer vernetzten Welt ist. So entwickelten sich nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberangriffskampagnen ("Cyber Intelligence") in den Folgejahren – erinnert sei nur an den russischen Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag 2015 – dann auch zu einer stetig wachsenden Herausforderung für die Verfassungsschutzbehörden im Bund und in den Ländern.

Aktuelle Herausforderungen

Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren flächendeckend umgestaltend in die Gesellschaft eingegriffen, sodass es heute kaum mehr "eindimensionale" Bedrohungslagen gibt, die noch in den vergangenen Jahrzehnten eine klare Schwerpunktsetzung in der Arbeit des deutschen Inlandsnachrichtendienstes ermöglicht haben. Der Verfassungsschutz im Bund und in den Ländern sieht sich heutzutage mit vielgestaltigen Bedrohungen und einem vielfach dynamischeren Aktionspotenzial in grundsätzlich allen beobachteten Phänomenbereichen konfrontiert, die seiner vollen Aufmerksamkeit und vor allem einer gestiegenen auch technologischen Anpassungsfähigkeit bedürfen. 

Geschichtsprojekte

Erstes Geschichtsprojekt: Gründungszeit des BfV

2007 schuf das Bundesamt für Verfassungsschutz die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Untersuchung seiner Gründungsgeschichte. Die konzeptionellen Vorbereitungen mündeten im November 2010 in die öffentliche Ausschreibung eines Forschungsvorhabens unter dem Arbeitstitel "Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950-1975 unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase". Den Zuschlag erhielten Prof. Dr. Constantin Goschler und Prof. Dr. Michael Wala vom Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Dieses erste Geschichtsprojekt des BfV stellte eine Neuerung für die grundsätzlich der Geheimhaltung unterliegende nachrichtendienstliche Arbeit des Amtes dar.

Die beiden Historiker widmeten sich von November 2011 bis Ende 2014 der Erforschung der frühen Entstehungszeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Sie legten mit ihrer Veröffentlichung "Keine neue Gestapo" auch den Grundstein für eine weitergehende transparente und wissenschaftlich unabhängige Aufarbeitung der Geschichte des deutschen Inlandsnachrichtendienstes.

Ein Überblick:
Veröffentlichung: "Keine neue Gestapo"

Die Veröffentlichung der Studie von Prof. Dr. Constantin Goschler und Prof. Michael Wala erfolgte im Oktober 2015 unter dem Titel: "Keine neue Gestapo - Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit" im Rowohlt-Verlag.

Ein zentrales Ergebnis der Forschungen war, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz weitaus weniger nationalsozialistisch belastetes Personal beschäftigt war als in anderen Behörden der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Denn der Verfassungsschutz war eine durch die Alliierten Hohen Kommissare initiierte Neugründung und wurde bewusst nicht auf den Resten einer vorbelasteten Organisation oder Behörde errichtet.

Veröffentlichung: "Otto John. Patriot oder Verräter"

Die Veröffentlichung der von Benjamin Carter Hett und Prof. Michael Wala verfassten Biografie erfolgte im Mai 2019 unter dem Titel: "Otto John. Patriot oder Verräter: Eine deutsche Biographie" im Rowohlt-Verlag.

Die Arbeit widmet sich dem bis heute umstrittenen ersten Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John, der im Nationalsozialismus Teil des Widerstands war und in der Nachkriegszeit die Leitung der Behörde übernahm. Der Fall seines Übertritts nach Ost-Berlin 1954 und seiner Rückkehr 1955, gefolgt von Verurteilung und seinem Kampf um Rehabilitation, markiert gleichzeitig eine historische Wegmarke für die junge Bundesrepublik Deutschland in Zeiten des Kalten Krieges.

Veröffentlichung: „70 Jahre Bundesamt für Verfassungsschutz 1950-2020“

Im März 2020 veröffentliche das Bundesamt für Verfassungsschutz anlässlich seines Jubiläums eine Publikation unter dem Titel „70 Jahre Bundesamt für Verfassungsschutz 1950-2020“. Die Broschüre mit Grußworten vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, und Präsident Thomas Haldenwang gibt einen komprimierten Überblick über die Geschichte sowie den Auftrag und das Selbstverständnis des Bundesamtes im Spiegel aktueller Herausforderungen.

Zweites Geschichtsprojekt: Die Spionageabwehr im Kalten Krieg

2018 schrieb das Bundesamt unter dem Arbeitstitel „Das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Ministerium für Staatssicherheit und die Spionageabwehr im Kalten Krieg“ ein zweites Geschichtsprojekt aus.

Prof. Michael Wala untersuchte von 2019 bis 2021 die Arbeit der Spionageabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegenüber dem früheren Ministerium für Staatssicherheit (MfS) während des Kalten Kriegs auf drei Ebenen. Er betrachtete die Organisationsgeschichte sowie die Einbettung der Abteilung Spionageabwehr in politische und gesellschaftliche Wandlungsprozesse, arbeitete die Einbindung der Spionageabwehr in die bundesdeutsche und transatlantische Sicherheitsarchitektur heraus und untersuchte operative Vorgänge der Abwehrarbeit gegen die Spionagetätigkeit der Hauptverwaltung Aufklärung. Zudem bilanzierte er die Erfolge des BfV, diese Spionageaktivitäten einzudämmen.

Veröffentlichung: „Der Stasi-Mythos“

2023 erschien das Ergebnis des zweiten Geschichtsprojekts in Buchform unter dem Titel „Der Stasi-Mythos. DDR-Auslandsspionage und der Verfassungsschutz“ im Ch. Links-Verlag.

Die Arbeit verdeutlicht, dass die nach 1990 von ehemaligen MfS-Angehörigen aufgestellte Behauptung, die Stasi sei aufgrund ihrer Spionage „einer der besten Geheimdienste der Welt“ gewesen, nicht stimmt. Vielmehr konnte die mit weit geringeren Ressourcen ausgestattete Spionageabwehr der Bundesrepublik, trotz teilweise deutlicher Rückschläge, in vier Jahrzehnten nicht nur tausende Agenten enttarnen, sondern ca. 2.000 von ihnen „umdrehen“ und als so genannte Countermen gegen das MfS einsetzen. Zudem zeigte sich beim Untergang der DDR, dass viele MfS-Angehörige keine hochmotivierten „Kundschafter des Friedens“ waren, denn mehr als 70 von ihnen lieferten dem BfV wertvolle Informationen gegen Geldzahlungen.

Pressemitteilung vom 6.10.2023:
„Forschungsprojekt des BfV wirft neues Licht auf die innerdeutsche Spionage während des Kalten Krieges“